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Ameisensorgen und Grashüpfersehnsucht
Vermutlich kennen die meisten Leser die Fabel des römischen Dichters Äsop oder die Übertragung durch la Fontaine: Die Ameise und die Heuschrecke. Für mich war die Geschichte schon immer ein Bild für den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen den „Grillen“ der Autorin, die ich sein wollte und meiner Ameisenangst vor schlechten Tagen in einer fernen Zukunft. Als ich nach den ersten Erfolgen diverser Illustriertengeschichten mit dem Gedanken spielte, meinen Job als Sekretärin zu kündigen und mein Brot fortan als freiberufliche Krimiautorin und Texterin zu verdienen, litt ich plötzlich unter heftigen Schlafstörungen. Es dauerte eine Weile, bis ich herausfand, dass mir die Angst vor fehlenden Einzahlungen in die Rentenkasse und Altersarmut schlaflose Nächte bereitet hatte. Damals zog ich es vor, wieder eine feste Stelle in der Welt der rentenversicherten Ameisen zu suchen und die Grille von einem freien Wochenende auf die nächste Urlaubswoche zu vertrösten. Nachdem ich beschlossen hatte, meine Ersparnisse nicht in eine sichere Zusatzrente sondern in ein eigenes Verlagsprojekt und eine Fortbildung zur Gestalttherapeutin zu investieren, meldete sich die Ameisenangst mit ihren Winterdepressionen und einem nahezu manischen Aktivismus zurück. Mit der Unterstützung meines Partners und meines Erfolgsteams (nach Barbara Sher) ist es mir gelungen, drei Jahre lang hart am Wind zu segeln und auf Kurs zu bleiben. Vor zwei Wochen hat mir ein Traum das Happy End für meine altehrwürdige Dilemma-Geschichte zugespielt. Ich habe sie aufgeschrieben und in die Welt gegeben. Jetzt wissen Sie, wie diese Homepage zu ihren Maskottchen gekommen ist und ich bin gespannt ob die Geschichte tatsächlich die Kraft hat, meine Welt zu verändern …
Eine neue Geschichte von der Ameise und dem Grashüpfer An einem Sommertag begegneten sich eine Ameise und ein Grashüpfer. Schwitzend und schnaufend schleifte die Ameise ein Löwenzahnblatt hinter sich her, das mindestens zehn Mal so lang war wie sie und sicher dreißig Mal so schwer. „Was machst du da?“, wollte der Grashüpfer wissen. „Ich sammle Vorräte für den Winter“, antwortete die Ameise. „Wenn der Nordwind über die Hügel pfeift gibt es bei mir Löwenzahnsuppe mit getrockneter Brunnenkresse oder Himbeerblättertee mit Ringelblüten und Johanniskraut.“ Lachend schüttelte der Grashüpfer den Kopf. „Worüber du dir Gedanken machst. Die Sonne brennt so heiß wie In Afrika. Das ist genau die richtige Zeit, um zu feiern.“ Er zog eine Mundharmonika hervor. „Hast du Lust auf ein Tänzchen?“ „Nein. Ich muss arbeiten.“ Die Ameise packte die schwere Last fester und krabbelte ihrer Wege. An einem stürmischen Wintertag rührte die Ameise gerade die Kresse in ihre Löwenzahnsuppe, als es plötzlich an der Tür klopfte. Draußen stand der Grashüpfer. Er zitterte am ganzen Leib und sein Gesicht war mehr grau als grün. „Mir ist furchtbar kalt“, sagte er. „Und hungrig bin ich auch. Hast du vielleicht ein warmes Plätzchen und etwas zu beißen für mich? Wenn ich mich ein bisschen aufgewärmt habe, mache ich mich sofort wieder davon.“ Nachdenklich legte die Ameise ihren Kopf schief. „Bist du nicht der Musikant, der im Sommer auf seiner Mundharmonika gespielt hat?“ „Genau der bin ich.“ Der Grashüpfer nickte eifrig. „Wir sind uns nur einmal begegnet und du warst so beschäftigt. Was für ein Wunder, dass du dich noch an mich erinnerst.“ Er hatte schon fast den Fuß auf die Schwelle gesetzt, als die Ameise die Tür vor seiner Nase zuschlug. „Wenn du im Sommer gesungen hast“, rief sie ihm durchs Schlüsselloch zu, „kannst du im Winter tanzen.“ Durch das kleine Fenster neben der Tür sah die Ameise den Musiker um die Ecke schleichen. Der trübe Tag war fast vorbei und in der Nacht war mit den ersten Frost zu rechnen. Wenn er nicht bald ein Obdach fand, würde der Grashüpfer den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Ein eisiger Windstoß fauchte in die warme Stube, als die Ameise ihre Tür wieder aufriss. „Halt“, rief sie dem Grashüpfer nach. „Warte! Vor dem Ofen ist genug Platz für dich und einen Teller Suppe habe ich bestimmt auch übrig.“ „Dich schickt der Himmel.“ So schnell er konnte, humpelte der Grashüpfer auf seinen froststarren Beinen über die Straße. „Wenn du dich meiner nicht erbarmt hättest, würde der Wind morgen früh auf meiner leeren Hülle einen Trauermarsch pfeifen.“ „Red keinen Unsinn, sondern komm rein“, entgegnete die Ameise kurzangebunden. „Sonst ist es in meiner Stube genauso kalt wie da draußen.“ Als der Grashüpfer am nächsten Morgen gehen wollte, fauchte der Ostwind durch den Wald. „Bleib noch ein bisschen“, sagte die Ameise. „Wenn du da hinausgehst, stirbst du heute Morgen genauso sicher wie gestern Abend.“ Der Grashüpfer ließ sich nicht lange bitten. Vor dem warmen Ofen lag er bequemer als in einen Haufen welker Blätter, und die Vorratskammer der Ameise war gut gefüllt. Er versprach sich selbst und der Ameise, dass er sofort gehen würde, wenn der Wind aus der Tundra verstummt war. Doch nach dem Ostwind kamen der Schnee und der Frost. Die harte Hand des Winters reichte nicht bis in die Hütte der Ameise. Ihre Kammer war so gut gefüllt, dass noch zwei Esser mehr von den Vorräten satt geworden wären und im Schuppen stapelte sich das Brennholz bis unter die Decke. Für den Fall, dass sich jemand die Füße vertreten wollten, gab es in den Truhen und Schränken wasserfeste Schuhe aus Bucheckern, dicke Pullover aus Pappelflaum, Handschuhe aus Spinnenseide und Mützen aus den Kätzchen eines Haselstrauchs. Obwohl der sonderbaren Hausgemeinschaft nichts fehlte, wurde die Ameise immer schweigsamer. Die Arbeiten, die sie sonst flott erledigt hatte, gingen ihr schwer von der Hand, um die Mittagszeit lief sie alle paar Minuten zum Fenster, blickte hinaus und wandte sich seufzend wieder ab. „Was macht dich denn so missmutig?“, fragte der Grashüpfer, als die Ameise schon eine geschlagene halbe Stunde darüber geschimpft hatte, dass ihr die Suppe angebrannt war. „Die Sonne.“ Nun konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. „Ich kann die Sonne nicht mehr sehen.“ „Im Winter will sie von der Erde nichts wissen“, antwortete der Grashüpfer. „Aber deswegen musst du dir keine Sorgen machen. Sobald es Frühling wird, kommt auch die Sonne wieder zurück.“ „Wie soll ich an die Rückkehr des Frühlings glauben“, schniefte die Ameise, „wenn jeder Tag kürzer und dunkler ist als der vorige!“ Als die Ameise am nächsten Tag fortging, um frische Tannennadeln für das Weihnachtsfeuer zu holen, machte sich der Grashüpfer hurtig an die Arbeit. Zuerst setzte er einen Topf Wasser auf den Ofen. Dann bastelte spickte er einen leeren Korb mit Strohhalmen, dass er wie eine Stachelkugel aussah. Um sein Kunstwerk zum Leuchten zu bringen, stellte er eine Kerze hinein und ließ es an einem dicken Spinnenseidenfaden von der Decke herabhängen. Inzwischen war das Wasser heiß. Er rührte getrocknete Beeren, Apfelschalen, zwei geschrotete Haferkörner, Kamillenblüten, einen Löffel Honig und ein Stück von einem Rosenblatt hinein. Als die Ameise schwer beladen von ihrem Ausflug zurückkam, duftete es in der Hütte wie auf einer Sommerwiese. Doch anstatt sich darüber zu freuen, brach sie in Tränen aus. „Das ist nur Erinnerung an einen Sommer, der längst vorbei ist“, schluchzte sie. „Wenn alle Vorräte aufgezehrt sind, gibt es keine Erinnerung mehr und keinen Sommer. Dann müssen wir alle beide verhungern.“ „Schau nur“, entgegnete der Grashüpfer. „Die Sonne kommt doch schon zurück.“ Mit großen Augen bestaunte die Ameise die kleine Sonne an ihrer Decke. Rasch zog der Grashüpfer seine Mundharmonika hervor und spielte die vielen Sommerlieder, die er kannte. Draußen war es längst dunkel und ein eisiger Winterwind pfiff um die Ecken, als die Ameise und der Grashüpfer glücklich und zufrieden im Licht der Korbsonne vor dem warmen Ofen saßen und ihren Sommerpudding löffelten.
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Die Autorin Beate Weirich Kontakt: beate.weirich (at) icloud.com
Wer ich bin
Ich bin eine Träumerin, die bereits viele Träume wahr gemacht hat. Die Tintenweberei ist ein großartiger Traum, und er ist auf dem besten Weg dazu, wahr zu werden.
Woher ich komme
Ich war bereits in jungen Jahren eine Leseratte. Die Heldinnen und Helden meiner Bücher standen mir zeitweise näher als die Menschen aus der wirklichen Welt. Seit ich selbst Geschichten schreibe, kommt es darin immer wieder zu Begegnungen der Realität mit einer magischen Welt hinter dem Schleier der Fantasie. Oft leiden beide Seiten unter einem Verlust oder einer Bedrohung und die Lösung liegt darin, die beiden Welten wieder in Kontakt zu bringen, damit sie sich gegenseitig heilen können. Im Studium entdeckte ich nicht nur meine Vorliebe für mittelalterliche Geschichte und Literatur sondern auch die Faszination des Fantasy-Rollenspiels. Später arbeitete ich in einem Internat, und mit meinen maßgeschneiderten Rollenspiel-Abenteuern, konnte ich sogar unsere gelangweilten Halbstarken aus der Raucherecke hinter der Werkstatt in die Wohngruppe zurücklocken. Es folgten einige Jahre, in denen schamanische Erfahrungen mit Trommeltrancen, Medizinradarbeit, Schwitzhütten, Naturerfahrungen und Visionssuchen viel Raum in meinem Leben einnahmen. In diesem Zusammenhang lernte ich vor allem auch, durch die behutsame Änderung lang gepflegter Schmerz- oder Leidensgeschichten heilende Veränderungen im Leben eines Klienten anzubahnen.
Wo ich stehe
Heute bin ich Lehrerin in einer Schule für sozial-emotionales Lernen. Ich unterrichte vor allem Jungen, die aus unterschiedlichen Gründen die Orientierung im Leben verloren haben. Ihre eigene Geschichte ist ihnen meist schon früh abhandengekommen, und manchmal finden wir gemeinsam eine neue Geschichte, die diesen Kindern oder Jugendlich als Landkarte oder Kompass dienen kann. Außerdem bin ich Autorin. Zusammen mit meinem Lebensgefährten, dem Comiczeichner und Illustrator Fern Weirich gebe ich die Siegelwelt-Chroniken heraus, eine Reihe von Geschichten aus einer zukünftigen Welt. Im Moment teilen wir diese Welt nur mit unseren Protagonisten aus den Biokuppeln oder dem Ödland der Rhein-Main-Region. Auf lange Sicht wünschen wir uns jedoch, dass diese Welt auch von anderen Autoren mitgestaltet und von Rollenspielern besiedelt wird. Daneben macht es uns riesigen Spaß, die Wurzelwelt-Chroniken zu entwickeln und unseren Lesern das "kleine Volk" wieder näher zu bringen. Ich bin auch Gestalttherapeutin. Nach meiner Heldenreise war ich von dieser Arbeit so fasziniert, dass ich mich der Ausbildungsgruppe angeschlossen habe. In der Gestalt-Sitzung kann sich ein Menschenleben bis an den Rand des Erträglichen und darüber hinaus verdichten, lose Enden verknüpfen sich auf die erstaunlichste Weise, unvollendete Geschichten finden Lösungen. Unter dem Vergrößerungsglas der Gestalt-Arbeit prüfe ich gerade das Wissen und die Weisheiten, die ich bisher gesammelt habe. Was Bestand hat, spinne ich in die Fäden, aus denen mein Leben und die Literatur-Arbeit gewebt werden.
Wohin ich gehe
Ich werde in den nächsten Jahren die Mittel und Möglichkeiten der Literaturarbeit in Selbsterfahrung und Therapie weiter erforschen. Zu diesem Zweck will ich meine eigenen Projekte dokumentieren und auszugsweise veröffentlichen, aus Workshops, Seminaren und Ausbildungsgruppen berichten oder interessierte Besucher einladen, an verschiedenen Arbeitsgruppen in der echten oder virtuellen Welt teilzunehmen. Auch ein Forum zum Austausch über Theorien oder Erfahrungen soll es dann hier geben, aber bis die Donnersberger Tintenweberei so weit ist, wird sicher noch etwas Zeit ins Land gehen. |
SGZ-Geschichten
SGZ steht für "Schreiben gegen die Zeit". Beliebig viele Autorinnen und Autoren treffen sich zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt im virtuellen Raum eines Autoren-Forums und warten auf das Stichwort des Tages. Sobald es freigegeben wird, fangen sie an, zu schreiben. Die Geschichten werden nicht im Voraus geplant, sie entstehen, indem sie geschrieben werden und eine Stunde später sind sie fertig. Oder auch nicht. Jedenfalls werden sie am Ende der vereinbarten Zeit ins Forum gestellt, von den anderen Autorinnen und Autoren gelesen und mehr oder weniger ausführlich besprochen.
Meistens war's das auch schon. Die meisten Geschichten, die ich in einer Stunde schreiben kann, sind weder originell noch tiefsinnig genug, um sich einem größeren Publikum vorzustellen. Aber manchmal passt halt doch alles. Manchmal entsteht in der SGZ-Stunde ein stimmungsvolles kleines Juwel oder ein pfiffiger Knaller. Für die Schublade zu schade, für die große weite Welt zu kurz und so speziell, dass ich sie nicht in eine anderen Geschichte mit hinein schreiben kann. Vielleicht findet ja die eine oder andere SGZ-Geschichte in der kleinen Welt der Tintenweberei interessierte Leserinnen oder Leser ...
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Nichts los
Freitagabend. Und alles, wo man hinfahren konnte, um zu zeigen, dass man endlich die Führerscheinprüfung bestanden hatte, war dicht. Kinos dicht, Kneipen dicht und die Clubs auf der Partymeile der nächst größeren Stadt waren natürlich auch dicht. Egal! Tomtom war nicht der Typ für lange Grübeleien. Wenn nichts los war, musste er eben selbst etwas locker machen. "Tschüß Mama, tschüß Papa!" "Wo willst du denn jetzt noch hin?" Seine Mutter wollte es wieder einmal ganz genau wissen. "Keine Ahnung. Einfach ein paar Kilometer fahren. Schließlich muss man als Fahranfänger viel üben." "Denkst du bitte an die Ausgangssperre! Wenn du um neun nicht zuhause bist, kann das richtig teuer werden." "Alles klar." Sein Auto, ein uralter Skoda, den er seinem Großvater für billiges Geld abgekauft hatte, stand vollgetankt vor dem Haus. Das Geld für den Wagen hatte er selbst zusammen gespart. Der Tankgutschein war ein Geschenk seiner Eltern gewesen. Mit einem diskreten Hüsteln setzte sich der Motor in Gang. Gas geben, Kupplung langsam kommen lassen. Mit einem kleinen Bocksprung setzte sich der Wagen in Bewegung und hopste aus der Parklücke auf die Straße. Und jetzt? Wohin? Egal! Einfach geradeaus. Es war schon dunkel, und die vertrauten Straßen mit den kleinen Häusern blieben hinter ihm zurück. Die Tankstelle, die Burgerbude und das Einkaufszentrum kannte er von den Busfahrten zur Schule. Dort, wo der der Bus immer links abbog, fuhr er weiter geradeaus, und er fühlte sich dabei recht verwegen. Die Straße führte durch ein Gewerbegebiet, das ihm so fremd war wie der Mars. Zuerst fuhr er an einem hohen Zaun vorbei, der vermutlich zu einer Fabrik gehörte. Nach dem Zaun kam lange nichts. Mannshohes Unkraut rechts und links von der Straße, eine Bushaltestelle mitten im Niemandsland, dann eine Einfahrt und ein neuer Zaun. "Nein, hier ist auch nichts los", stellte Tomtom fest. Außerdem war es schon Viertel vor neun. Höchste Zeit, um zu wenden und wieder nach Hause zu fahren. Vielleicht reichte es noch für einen kurzen Zwischenstopp im Drive-In. Wenn die süße Sarah wieder Dienst an der Kasse hatte, wüsste morgen die ganze Klasse, dass er jetzt einer von denen war, an die man sich halten musste, wenn man zu einer Party gehen wollte. Vorausgesetzt, es gäbe irgendwann wieder Partys. Plötzlich tauchte aus dem Dunkel etwas schmales Weißes auf, das ihm langsam entgegen kam und dabei auf und ab wippte. Ein Minirock! Hier war also doch was los! Tomtom bremste so heftig, dass er dabei fast den Motor abgewürgt hätte. Während der weiße Minirock im Licht der Scheinwerfer Gesellschaft von einem bauchfreien Top mit einer beachtlichen Oberweite, langen Beinen und waffenscheinpflichtigen Stilettos bekam, kurbelte Tomtom hastig die Scheibe herunter. "Hast du dich verlaufen, Süße", rief er dem Mädchen entgegen. Das Licht reichte nur bis zu ihrem Dekolleté, aber zu dem, was er bisher gesehen hatte, passte nur ein Traummädchengesicht mit langen Wimpern und sinnlichen Lippen. "Soll ich dich ein Stück mitnehmen?" "Danke für das Angebot, Süßer, aber ich hab schon ein Date." Irgendetwas war mit ihrer Stimme nicht in Ordnung. "Morgen vielleicht. Oder übermorgen." Sie beugte sich durch das offene Fenster in den Wagen. Ihre langen, rotlackierten Krallen schoben ein kleines Pappkärtchen in seinen Hosenbund. "Ruf mich einfach mal an", schnurrte sie, und dabei spitzten sich die Lippen in dem bärtigen Gesicht zu einem Luftküsschen ...
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Gerda
Ich bin eine ganz gewöhnliche Ameise. Ich sorge dafür, dass die Werkstatt im Sommer ordentlich belüftet und im Winter gut geheizt ist, dass in den Gästezimmern nichts fehlt, was unsere Gäste brauchen könnten, um sich hier wohlzufühlen, dass Frühstück, Mittagessen und Abendbrot rechtzeitig auf den Tisch kommen, dass immer frischer Tee und saubere Tassen für Sie auf der Anrichte stehen, dass der Dreck aus dem Wald nicht glaubt, er könne bei uns einziehen, und dass Ihnen das Papier nicht ausgeht. Ab und zu räume ich auch den Schreibtisch unserer Chefin auf. Aber das mag sie gar nicht gerne.
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Die Tintenweberei
In meinen Träumen ist das Haus größer als in Wirklichkeit. Im Erdgeschoss gibt es eine geräumige Wohnküche mit einer Eckbank. Der zugehörige Tisch ist so groß ist, dass zehn oder zwölf Leute daran Platz finden. Auf der anderen Seite des Eingangs liegt die Werkstatt, ein luftiger Raum mit vielen kleinen Fenstern nach Süden und Westen. Der Holzboden riecht nach Wachs und im Winter duftet das Anmachholz für den Kachelofen nach Weihnachten. Unter den Fenstern stehen Tische für die Schreibübungen, an den Wänden hängen Webrahmen und in einem Regal stehen Körbe mit Wolle, Spindeln, Garnspulen und anderen Kleinigkeiten. Vor dem Ofen liegt ein dicker Teppich aus handgesponnener Wolle mit einem Kreis aus bunten Meditationskissen für den theoretischen Teil der Seminare. Über der Küche gibt es vier gemütliche Zimmer für die Übernachtungsgäste. Über den Zimmern ist der Dachboden zu einem Matratzenlager ausgebaut. Über der Werkstatt liegt die Schreibstube. Der Raum ist offen bis unters Dach, die hohen, schmalen Fenster in der Giebelwand zeigen nach Westen. Hier ist mein Arbeitsplatz. Der Schreibtisch erstreckt sich über die gesamte Giebelwand. Trotzdem ist es fast unmöglich, darauf einen freien Platz für einen Brief oder eine Kaffeetasse zu finden. An den anderen Wänden stehen Bücherschränke und Regale, deren Bretter sich unter der Last der vollen Ordner biegen. Nur in der Ecke mit dem zierlichen Tisch und zwei feuerroten Sesseln herrscht Ordnung. Hier liegen keine Bücher und keine Papierstapel. Auf dem Tisch stehen eine Vase mit Sonnenblumen, eine Kerze, eine Teekanne und eine passende Schale mit Gebäck In der wirklichen Welt teilt sich die Tintenweberei meinen Schreibtisch mit meinen Kurzgeschichten und meinen Schulvorbereitungen. Einen eigenen Seminarraum hat sie noch nicht, und die Wanderjahre haben uns bereits in verschiedene gastliche Häuser rund um den Donnersberg geführt. |